Prag – Kaffee & Kunst in sozialistischer Kulisse

Noch mal schnell weg, und wohin? Prag! 4 Stunden mit dem Zug ab Berlin und schon kann man sich in den Strom der Touristen einreihen, die sich hier jeden Tag über die Karlsbrücke schieben. Im Sommer sind es zum Teil 500.000 täglich. Muss man aber nicht, denn Prag hat noch viel mehr zu bieten :)

Mama ruft, wir kommen – nach Letna

Nachdem wir bereits im Sommer das neue Mama Shelter Hotel in Belgrade besucht haben, haben wir die zweite Neueröffnung dieses Jahres in Prag auch noch mitgenommen. Im Gebäude des ehemaligen Park Hotels liegt Mama mitten in Letna, auf der gegenüberliegenden Seite der Moldau – also von der Prager Altstadt aus gesehen.

Und bevor man die günstige Straßenbahn nimmt, um sich ins Touri-Getümmel zu stürzen, lohnt es sich auf jeden Fall, Letna zu erkunden.

Das Stadtviertel ist eingerahmt von zwei Parks: den kleineren Letna Park oberhalb der Moldau und den großen Stromovka Park weiter im Norden.

Im Letna Park gibt es direkt das erste architektonische Highlight jenseits von Jugendstil-Fassaden: den Expo-Pavillion von 1958. Dieser wurde für die Weltausstellung in Brüssel entworfen und, nachdem er den Hauptpreis dieses Jahres abgesahnt hatte, nach Prag gebracht. Inzwischen wird er allerdings nur noch als Büroräumlichkeit genutzt.

Auch im Letna Park befindet sich der Metronom, ein 20 Meter hoher Zeiger, der das Vergehen der Zeit symbolisiert. Er befindet sich an der Stelle, an der einmal das größte Stalindenkmal Europas stand.

Da Letna nicht ganz so durchsaniert ist, wie die Altstadt, wird es sehr gern als Kulisse für Film und Fernsehen genutzt. Überhaupt ist Prag ja seit den frühen 2000ern ein äußert beliebter Drehort für internationale und europäische Produktionen. Deshalb hat es genau 5 Minuten nach unserer Ankunft gedauert, bis wir in den ersten Dreh gelaufen sind.

Moderne Kunst und mittelalterliche Geschichte

Diese beiden Dinge beschreiben unseren Prag-Aufenthalt am besten. Andere kommen zum shoppen oder feiern, wir haben uns geistige Anregung geholt. Um dabei nicht angesichts der Masse an Museen und Möglichkeiten den Überblick zu verlieren, haben wir das Ganze eingrenzt und uns zunächst einmal auf moderne Kunst fokussiert.

Nationalgalerie im Veletržní palác

Direkt neben unserem Hotel lag dafür auch gleich die erste Anlaufstelle: der auf moderne Kunst fokussierte Zweig der Nationalgalerie im ehemaligen Messepalast. Eröffnet im Jahr 1928 läutete er auch in der damaligen tschechoslowakischen Republik die Ära der modernen Architektur ein. Allein das Gebäude macht also schon einiges her aber auch die Ausstellungen sind eine Empfehlung.

Grundsätzlich werden hier Malerei und Bildhauerei von tschechischen Künstlern ab 1850 gezeigt. Besonders spannend ist dabei allerdings der Teil der Ausstellung, der sich auf die Zeit der ersten tschechoslowakischen Republik von 1918 bis 1938 konzentriert. Diese wenigen Jahre waren extrem wichtig für die Kunst. Nach dem Ende der k. u. k. Monarchie entwickelte sich ein Nationalstaat in dem sich Künstler auch mit der Frage einer nationalen Kunst auseinandersetzten. Gleichzeitig fand ein sehr enger Austausch mit den Nachbarländern, allen voran der Weimarer Republik statt. Viele Professoren und Leiter kultureller Institutionen in Prag waren Deutsche, die den künstlerischen Diskurs maßgeblich beeinflusst haben. Es gab viele deutsche Kunstvereine und Galerien. Die Nationalgalerie rekonstruiert Ausstellungen in öffentlichen wie privaten Institutionen dieser Zeit, in denen sich nicht nur die Blütezeit der tschechoslowakischen Künstler wie Max Švabinský oder Jan Preisler, der Einfluss aus Deutschland mit Max Liebermann, August Brömse oder Käthe Kollwitz, sondern auch die große Begeisterung für französische Kunst von Rodin bis Toulouse-Lautrec und Rousseau widerspiegelt. Damit sind extrem abwechslungsreiche und spannende Sammlungen entstanden. Und dies nicht nur in Prag, sondern auch in weniger kosmopolitische Orten der ehemaligen Republik wie Brno, Bratislava oder Zlín.

Einziger Minuspunkt dieser wirklich tollen Ausstellung: sie ist zu umfangreich, um sie sich einmalig anzuschauen. Nach der Hälfte merkt man die Übersättigung und gegen Ende ist man kaum noch in der Lage, irgendetwas aufzunehmen, was angesichts der hochkarätigen Exponate sehr schade ist.

Dox – Zentrum für zeitgenössische Kunst

Im Norden Prags liegt noch eine weitere Anlaufstelle, diesmal für zeitgenössische Kunst: das Kunstzentrum Dox. Aktuell gibt es zwei Ausstellungen: eine multimediale Retrospektive der tschechischen Band Tata Bojs – da wir die Band nicht kennen, hat uns das nicht so viel gegeben – und die sehr unterhaltsame Sammelausstellung „Hard Times“, die aktuelle politische Themen mit großen Skulpturen von Viktor Frešo und einem von Antuan Rodriguez eingerichteten Fitnessstudio thematisiert, in dem man u. a. ungeliebten Diktatoren mal so richtig in die Fresse hauen kann. Kunst zum Mitmachen so zu sagen.

Museum Kampa

Zuletzt haben wir das private Museum Kampa besucht. Der Name bezieht sich auf die Insel Kampa, die unterhalb der Prager Burg an der Moldau liegt. Gegründet wurde das Museum vom Sammlerehepaar Mládek. Aktuell gibt es vier Ausstellungen zu sehen:

Exponate der tschechischen Bildhauerin Vlasta Prachatická, die zunächst nur Familienmitglieder porträtiert hat und sich dann mehr zufällig zur Koryphäe für Büsten von Personen des öffentlichen Lebens entwickelte. Sie gestaltete die Abbilder von zahllosen Politikern und Künstlern, ohne diese jemals getroffen zu haben.

Der tschechische Künstler František Kyncl wanderte bereits in den 1960er Jahren nach Düsseldorf aus. Dort freundete er sich unter anderem mit Joseph Beuys an und begann, seine spatialen Skulpturen aus Bambusstäbchen und andere Studien zur künstlerischen Darstellung von Raum und Zeit zu entwickeln.

Das Museum zeigt aktuell auch einen Zyklus von Zeichnungen von Pablo Picasso über die griechische Sage über den Minotaurus.

Ein weiteres Highlight in Sachen Skulpturen wartet vor dem Museum: die Barcode-Babys von David Černý. Dieser tschechische Künstler begegnet einem immer wieder überraschend in ganz Prag, zum Beispiel auch mit seinem sich bewegenden Kafka-Kopf und dem über einer beschaulichen Altstadt-Gasse baumelnden Sigmund Freud.

50 Jahre Prager Frühling

2018 waren zwei Jubiläen für Tschechien besonders wichtig. 1918 – nicht nur als Endpunkt des ersten Weltkriegs, sondern auch als Gründungsjahr der ersten tschechoslowakischen Republik, und 1968 – das Jahr des Prager Frühlings.

Ebenfalls in der Nationalgalerie kann man zum zweiteren Jahrestag eine besondere Fotoausstellung sehen: die Bilder von Josef Koudelka, der den Prager Frühling hautnah dokumentiert hat. Er hat über 200 Motive für die Ausstellung ausgewählt. Die Fotos werden multimedial inszeniert und als 9-Kanal Videoinstallation gezeigt, in der neben den statischen Bildern auch originale Video- und Tonaufnahmen eingespielt werden. Damit entsteht eine eindrucksvolle Dokumentation der Invasion der Warschauer Pakt-Staaten im August 1968, die eigentlich nie die Weltöffentlichkeit erreichen sollte.

Koudelka hatte die Fotos 1968 aus dem Land geschmuggelt. 1969 veröffentlichte die Fotoagentur Magnum das erste Mal ein paar Motive in den USA, allerdings mit anonymen Urheber, da eine Nennung Koudelkas viel zu gefährlich gewesen wäre. Trotzdem befürchtete er, in der ČSSR von den Behörden erkannt zu werden und kehrte in den 1970er Jahren nach einer Ausstellungstour nicht mehr zurück in sein Heimatland. Erst nach der Wende bekannte er sich öffentlich dazu, der Fotograf des Prager Frühlings zu sein und erst 2008 stellte er seine Bilder erstmal in einem umfassenden Bildband zusammen.

Jüdische Geschichte in Prag

In diesem Fall spielt sich sehr viel Geschichte auf sehr kleinem Raum ab. Bereits im frühen Mittelalter bestand in Prag ein jüdisches Ghetto, dessen Bewohner mal mehr und mal weniger Repressionen ausgesetzt waren.

Die älteste Synagoge – die Alt-Neu-Synagoge – war seit 1270 für 700 Jahren die Hauptsynagoge der jüdischen Gemeinschaft in Prag und damit auch eine der ältesten bis heute existierenden Synagogen in ganz Europa. Und sie ist der Schauplatz für die wohl bekannteste Prag-Legende. Rabbi Löw (Judah ben Bezalel) hat hier im 16. Jahrhundert angeblich einen Golem aus Lehm erschaffen, der die jüdische Gemeinde vor Angriffen schützen sollte. Die Überreste dieses Wesens liegen wahlweise auf dem Dachboden oder im Fundament, je nachdem, wen man fragt.

An der sanierten Pinkas Synagoge, auf deren Innen-Wänden 77298 Namen von Holocaust-Opfern geschrieben stehen, befindet sich der Eingang zum alte jüdischen Friedhof. Hier liegt auch das Grab des Rabbi Löw und anderer wichtiger jüdischer Gläubiger aus Prag wie Eliezer Ashkenazi oder Mordecai ben Abraham Jaffe.

Was muss nicht sein?

Muss ein Besuch der Prager Burg sein? Muss man sich den Altstädter Ring anschauen? Kann man natürlich. Haben wir auch gemacht. Ist aber halt wie Disneyland. Die Eintrittspreise sind auch kein Schnäppchen und man ist wirklich einer von unzähligen Touristen, in deren Mitte man sich dann durch Kirchen und das Goldene Gässchen schiebt.

Wo kann man gut shoppen?

Es gibt ein paar lokale Highlights, bei denen sich das shoppen lohnt, wenn man abseits der globalen Einzelhandelsmarken etwas Besonderes sucht. Zunächst einmal Botas 66, ein Geschäft für Turnschuhe, die auf einem ikonischen Model von 1966 beruhen und 2008 neu interpretiert wurden. Alle Schuhe werden in Tschechien produziert.

Außerdem empfehlen wir Koh-i-noor für alle Arten von Bleistiften und Zeichner-Bedarf oder ProstěPrim für aufgearbeitete alte Armbanduhren.

Wo kann man gut schlemmen?

Also es fehlt nicht an Auswahl, man muss aber ein bisschen schauen, um nicht in die Touristenfallen zu tappen. Zum Frühstück in Letna hat uns gefallen:

Bar Cobra

Bistro 8

Zum Lunch oder für’s Dinner in der Prager Altstadt sind sichere Kandidaten:

Lokál Dlouhá

Ein Klassiker mit dem Charme einer schon etwas älteren Kneipe. Auf der Karte alles, was man sich traditionell von der tschechischen Küche erwartet. An der Bar liegt die Warteliste, in die man sich für einen Tisch einschreiben kann.

La Bottega di Finestra

Delikatessen-Geschäft und entspannter Ableger des hochklassischen italienischen Restaurants nebenan, aber nicht weniger lecker.

Kantýna

Fleisch – das muss klar sein, wenn man hier hin geht. Man wählt aus der Fleischtheke aus, sucht sich die passenden Beilagen und haut rein, bis man ins Fresskoma fällt.

Und auf der Burg-Seite waren wir noch im Kaffeehaus Café Savoy. Hier gibt es traditionelle Speisen wie Aprikosenknödel oder Waldpilze mit Kartoffeln und Ei aber natürlich vor allem Süßes aus der hauseigenen Patisserie.

Außerdem können wir natürlich auch diesmal wieder das Essen und die Drinks im Mama Shelter Restaurant empfehlen.

Und wo wir gerade bei geistigen Getränken sind. In Prag lohnt nicht nur ein Bier, sondern auch ein Abstecher in die Absintherie. Tschechischer Absinth wird seit den 1990er Jahren wieder mit Thujon hergestellt, natürlich wesentlich weniger als in den 1920er Jahren, da in der EU nur noch maximal 30 Milligramm pro Liter erlaubt sind.

Wo gibt es guten Kaffee?

Prag macht Berlin als mitteleuropäische Kaffeehauptstadt den Rang streitig. Es gibt sehr viele Anlaufstellen für guten Kaffee mit tschechischen, deutschen oder internationalen Röstungen. Wir haben getestet:

Solista Espresso in Letna

ye’s, Kafe in Letna

onesip Coffee in der Altstadt

EMA Espressobar in der Altstadt

und ganz zuletzt noch ein kleiner Geheimtipp auf dem Weg zum Bahnhof: Káva Růžová

Das ist unser Prag Soundtrack

Fragt nicht …