Knezas & Knedles – Belgrad, Serbien

Wir waren auf der Suche nach einem interessanten Ziel für einen Städtetrip innerhalb Europas. Schnell zu erreichen, irgendwo, wo wir noch nicht waren, schönes Hotel, muss man keinen Kredit für aufnehmen? Wie wäre es mit Belgrad?

Von Berlin Tegel aus ist man in 1,5 Stunden nach Belgrad geflogen. Also warum nicht die Hauptstadt Serbiens? Auf dem Balkan waren wir noch nicht, unser Interesse war also geweckt.

Endlich wieder bei Mama

Den letzten Anstoß gab uns die Tatsache, dass in Belgrad im März 2018 ein neues Mama Shelter Hotel eröffnet hat. Nach Paris, Marseille und Istanbul war dies nun unser vierter Aufenthalt in einem Haus dieser Hotel-Kette, die uns bisher noch nie im Stich gelassen hat. Auch diesmal war die Wahl die richtige.

Absolut zentral gelegen, schaut das Hotel über Stari Grad, die Altstadt Belgrads. Mit etwas Glück sind wir in der größten Zimmerkategorie gelandet und hatten nicht nur ein schönes, großes Zimmer sondern auch noch eine große Terrasse dazu, auf der es sich – wenn man am Nachmittag etwas fußlahm war – noch ein paar Stunden in der Sonne verbringen ließ.

Die bekannten Highlights von Mama Shelter waren ebenfalls wieder am Start: tolles Restaurant, super Bar (diesmal mit großem Rooftop), Shop mit schönen Dingen und tadelloses Personal.

Wir wissen jetzt auch, wie dieser Standard zustande kommt, denn wir haben Bekanntschaft mit der Person gemacht, die man bei Mama Shelter als den „Qualitätsmanager“ bezeichnen könnte. Déjà-vu – denn wir haben ihn bereits einmal in Aktion erlebt – damals in Istanbul, als das Hotel gerade frisch aufgemacht hatte. Jetzt wissen wir auch, dass Mama Shelter – inzwischen zu Accor Hotels gehörend und mit Investitionskapital ausgestattet – bereits 14 weitere Standorte in Planung hat. Dieses Jahr waren Belgrad und Prag also nur die Spitze des Eisbergs und wir werden gespannt verfolgen, wie es weiter geht.

Für wen ist Belgrad das richtige Reiseziel?

Warum nun also Belgrad – und nicht eine andere europäische Stadt? Eine hervorragende Frage, die Belgrad gerade dabei ist, selbst zu beantworten. Seit zwei, drei Jahren wird Belgrad als eine Art „zweites Berlin“ gehandelt. Aber stimmt das?

Es ist nicht so, als hätte Belgrad nichts zu bieten, aber im Moment fehlt noch das Profil. Von allem etwas, aber alles noch nicht so richtig auf Touristen ausgelegt. Am Ende wird es darauf ankommen, wie Belgrad seine Besonderheiten so ausspielt, dass es mit den anderen europäischen Destinationen mithalten kann und gleichzeitig seinen eigenen Charakter bewahrt. Doch auch jetzt schon sieht, schmeckt und erfährt man, worin Belgrads Potenzial besteht.

Wer sich für Architektur interessiert:

hat in Belgrad einiges zu anzuschauen. Von der mittelalterlichen Stadt genauso wie der Zeit der Osmanen ist außerhalb der alten Stadtfestung Kalemegdan nicht mehr viel zu sehen. In der Altstadt ist nach der Unabhängigkeit von Serbien vom Osmanischen Reich 1878 nur noch eine alte Moschee erhalten geblieben.

Stattdessen findet man aber, wenn man genau hinschaut, ehemals schöne Jugendstilgebäude.

Die besondere Lage Belgrads an der Donau und im ehemaligen Einflussgebiet der k.u.k. Monarchie mit gleichzeitiger Verbindung nach Osteuropa geben dem bekannten Stil einen interessanten Twist. Architekten wie Branko Tanazević (1876-1945) prägten die serbische Interpretation dieses Architekturstils, bei dem das serbische Kulturerbe mit modernen Elementen verbunden werden sollte.

Eine weitere Stilrichtung prägt das Stadtbild Belgrads: der sozialistische Modernismus.

Vor allem in Novi Beograd – der „Neustadt“ – gibt es die großen und monumentalen Überbleibsel brutalistischem Ausdrucks einer neuen serbischen Identität nach dem Zweiten Weltkrieg unter Tito. Ein Beispiel ist der Palata Srbije (der serbische Palast), das flächenmäßig größte Gebäude Belgrads und ehemaliger Regierungssitz Jugoslawiens. Es gibt noch mehr zu sehen, leider aber für Touristen aktuell noch schwer zu erreichen.

Klar könnte man jetzt diskutieren, ob das alles schön ist. Aber hey, als wir durch die Straßen liefen, uns umschauten und unsere Blicke auf die Waschbetonbepflanzungen und Wasserspiele fiel, haben wir uns ein bisschen nostalgisch gefühlt. Kommt uns irgendwie bekannt vor…

Leider auch nicht gerade zentral liegt die größte orthodoxe Kirche der Stadt – der Dom des heiligen Sava – der ebenfalls nur zu Fuß keine Option ist. Orthodoxe Kirchen kann man natürlich trotzdem anschauen, so wie die Kirche des heiligen Markus mit ihrem nie vollendeten Inneren, in der einige der kostbarsten serbischen Ikonen aufbewahrt werden.

Belgrads Bausubstanz, egal aus welcher geschichtlichen Periode stammend, ist in schlechtem Zustand. Es bröckelt und zerfällt, wohin man blickt. Es steht weder gut, um das Thema Denkmalschutz noch um die Fülle der öffentlichen Kassen. Man kann also nur hoffen, dass mehr touristisches Interesse zu mehr Investition führt, um ein interessantes Stadtbild zu erhalten.

Denn das ist in Belgrad genauso in Gefahr, wie andernorts auch, wo private Investoren die Lücke füllen, die der Staat entstehen lässt. Ist man im Viertel Savamala unterwegs, stolpert man mit etwas Glück in eine wunderschöne alte Stadtvilla. Mit Marmor und Stuck, Blattgold und Antiquitäten ausgestattet, ist sie ein Blick zurück in die prunkvolle Geschichte der Stadt und gleichzeitig ein Blick voller Ambiguität in die Zukunft.

Hier sitzt die Firma Eagle Hills, die das Großprojekt Belgrade Waterfront entwickelt. Es geht um nichts weiter als die Gestaltung und den Aufbau eines komplett neuen Viertels direkt am Ufer des Sava; mit modernsten Wohnhäusern, Einkaufszentren und Annehmlichkeiten einer modernen Großstadt. Ohne viel Charakter versteht sich, genauso wie ohne Rücksicht auf bestehende Strukturen und den durchschnittlichen serbischen Geldbeutel (in Belgrad beträgt der aktuelle monatliche Durchschnittslohn 500 Euro netto). Dahinter steckt ein arabischer Investor und es bleibt zu sehen, wie dieses monumentale Bauprojekt Belgrad verändern wird.

Wer sich für Geschichte interessiert:

wird in Belgrad feststellen, dass Geschichte hier auch immer Gegenwart ist. Schon direkt bei der Fahrt in die Stadt hat es sich unser Taxifahrer nicht nehmen lassen, uns zu zeigen, wo die Nato 1999 die Stadt bombardiert hat. In Serbien kämpft man ums selbstbestimmte Geschichtsbild im eigenen Land und in Europa. Es gibt für Touristen einige Möglichkeiten, in die Geschichte Serbiens und des Balkans einzutauchen: das Historische Museum Serbiens, das Museum der Geschichte Jugoslawiens, das Militärmuseum, das Museum des 25. Mai für Tito bis hin zum Serbischen Nationalmuseum.

Man sollte aber alles immer mit einer gehörigen Portion Skepsis betrachten, denn von objektiver Geschichtsaufarbeitung kann wahrlich nicht die Rede sein.

Es bleibt auch spannend, wie es mit der aktuellen „Geschichte“ Serbiens weitergeht. Seit 2012 ist das Land EU-Beitrittskandidat. In Belgrad spürt man den Drang, Teil der europäischen Gegenwart zu werden – mit guten und weniger guten Auswirkungen. Besucher sind sehr willkommen, man präsentiert sich modern und offen, der Service in Restaurant, Café oder Museum ist hervorragend und bis zum Kioskverkäufer spricht scheinbar jeder Englisch. Jeder? Naja … Es gibt ein Phänomen auf dem Balkan, das man „Fajront“ also „Feierabend“ nennt. Es bezeichnet die Tatsache, dass junge Leute zum Studium und Arbeiten auswandern und selbst gutausgebildete Männer und Frauen in ihren 40igern und 50igern die Länder des Balkans verlassen, wenn sie können. Zurück bleiben die, die nicht wegkönnen und die Alten, und konservative Regierungen, die die guten alten Zeiten heraufbeschwören.

Für diejenigen, für die gutes Essen einen guten Urlaub ausmacht:

Hier hat Belgrad wirklich großes Potenzial. Überall in der Stadt haben wir interessante Restaurants und Bistros gefunden. Das spannende dabei – meistens geht es um eine moderne Interpretation lokaler Küche, nicht einfach nur um die Übernahme von internationalen Trends.

Geht man auf den Markt in Belgrad, sieht man direkt, dass es an regional angebauten Lebensmitteln nicht fehlt. Es gibt alles, was eine gute Küche braucht, bis hin zu in Serbien angebautem Wein und gebrautem Bier. Hier kommt der serbische Nationalstolz dann auch positiv zum Einsatz und behauptet sich gegen internationale Einflüsse. Ja, es gibt auch hier Burger und Co. aber die Pommes werden mit gebratener Blutwurst serviert, auf den Burger kommt regionaler Ziegenkäse und dazu gibt es einen Rote Beete-Saft.

Wir haben durchweg gut gegessen und damit ja nicht mal an der Oberfläche gekratzt. Wer Zeit, Lust am Genuss und genügend Magenkapazität mitbringt, für den ist Belgrad eine wahre Freude.

Wer sich für Zeitgenössische Kunst interessiert:

und auf der Suche nach weniger bekannten Künstlerinnen und Künstlern ist, der ist in Belgrad richtig. Auch in der Belgrader Kunstszene herrscht Regionalität und das macht den Reiz aus. 4 Museen und über 20 Galerien präsentieren zeitgenössische Kunst aus Serbien und dem gesamten Balkan, der man sonst in Europa eher selten bis gar nicht begegnet. Wer sich der serbischen und jugoslawischen Geschichte jenseits der offiziellen Geschichtsschreibung nähern will, dem sei besonders die Kunst ans Herz gelegt.

Wir haben uns das private Kunstmuseum „Muzej Zepter“ angeschaut. Aktuell sieht man hier eine Retrospektive des Künstlers Milija Nešić, der eine ganz eigene Art der Skulptur entwickelt hat. Seine „Motiles“ sind interaktive Kunstwerke, die durch den Betrachter in Bewegung gesetzt werden und erst so ihre vollständige Aussage präsentieren.

Die Dauerausstellung des Museums widmet sich der Entwicklung jugoslawischer Künstler vom verordneten sozialistischen Realismus hin zu einer sozialkritischen und eigenen „Sprache“.

Wo kann man gut schlemmen?

Wie schon beschrieben, gibt es hierfür theoretisch jede Menge Antworten aber wir konnten natürlich nur wenige davon an drei Tagen testen.

Mama Shelter

Egal ob man hier schläft oder nicht, es lohnt, bei Mama zu essen. Wir hatten verschiedene lokaltypische Aufstriche, Hühnchenkroketten, Teriyaki Lachs und gegrilltes Huhn sowie Pizza auf der Dachterrasse.

Ambar

In der Beton Hala gelegen, ist dieses Restaurant eins von vielen. Die Beton Hala ist ein ehemaliger Lagerkomplex direkt am Ufer des Sava.

Hier haben sich verschiedenste Bars und Restaurants angesiedelt und werden sowohl von Belgradern als auch von Touristen gern besucht.

Ambar serviert tapasartige Gerichte, so dass man viel von allem kosten kann.

Manufaktura

Ein Klassiker in Stari Grad zu jeder Tageszeit. Wir waren hier zum Frühstück und haben ein Omelett mit Ajvar und ausgelassenem Speck sowie ein Fladenbrot gefüllt mit Frischkäse und übergoßen mit Bratenfond gegessen. Beides deftig aber lecker.

Ferdinand Knedle

Für Zwischendurch fanden wir dieses kleine Knödel-Café sehr bezaubernd. Man wählt aus diversen süßen oder herzhaften Knödelvariationen aus, zum Beispiel wie bei uns klassisch mit Zwetschgenfüllung oder mit Kokoscreme.

Wo gibt es guten Kaffee?

Sehr positiv überrascht waren wir vom hervorragenden Kaffeeangebot in Belgrad. Anhand von Cafés kann man auch super die Stadt und ihre verschiedenen Viertel erkunden.

Kafeterija Magasin 1907

In Stari Grad liegt das Hauptcafé der Kafeterija Café-Kette im Magazin 1907. Über mehrere Etagen kann man hier frühstücken, Kaffee trinken und arbeiten.

Der Kaffee wird nach Herkunft und Geschmacksprofil vorgestellt und handwerklich sehr gut zubereitet.

Das Café passt zu Stari Grad, denn in der Altstadt ist alles ein bisschen schicker, sauberer und man merkt am ehesten den großstädtischen Anspruch von Belgrad.

Koffein

Auch Koffein liegt in Stari Grad und macht einen sehr soliden Kaffee, kann aber mit der Kafeterija nicht ganz mithalten.

Barista Speciality Coffee Corner

Ein kleiner gemütlicher Laden in Savamala mit einem guten Flat White.

Savamala wurde uns ein bisschen als das Kreuzberg Belgrads verkauft. Tatsächlich muss man hier aber ganz schön auf die Suche gehen, um die interessanten Ecken zu entdecken.

Pržionica D59B

Dieses Juwel – ein kleiner Coffee Shop mit eigener Rösterei – haben wir ganz zum Schluss in Dorćol entdeckt.

Dorćol wird ebenfalls sehr angepriesen und auch hier sind wir recht lange gelaufen und hatten schon fast aufgegeben, bevor wir in einer Seitenstraße hinter einem Straßenbahn-Depot doch noch eine Ansammlung kleiner Boutiquen und Cafés entdeckt haben, für die sich der Weg lohnt

Unser Belgrad-Soundtrack

Man sieht im touristischen Belgrad kaum einen Hinweis auf die Roma. Trotzdem soll es allein in der Hauptstadt 150 Enklaven geben, in denen die Roma unter schlechtesten Bedingungen leben. In diesem Sinne: Šaban Bajramović.