Odense, oder wie märchenhaft ist Dänemark?

Nach MeckPomm führte uns unser Weg um die Ostsee weiter nach Dänemark. Erster Stop: Odense, Dänemarks drittgrößte Stadt auf der Insel Fünen mit ihrer wahrlich süßen mittelalterlichen Altstadt.

Odense ist aber natürlich nicht nur mittelalterlich.

Während unserer Erkundung von Odense haben wir uns über das Glücklichsein in Dänemark Gedanken gemacht, schließlich landet das Land im internationalen Vergleich immer ganz weit oben, wenn es um den Glücksindex geht.

Die Dänische Work-Life-Balance

Viel gelobt, ist zum Beispiel die Arbeitswelt in Dänemark, die sehr viel mehr im Einklang mit Freizeit, Familienleben, Hobbies und Ausgleich sein soll. Zum Teil stimmt das auch mit Sicherheit, denn (zugegeben auch erstmal zu unserer Irritation) Öffnungszeiten sind hier strikt und arbeitnehmer*innenfreundlich. An Wochentagen macht 18:00 alles zu, am Samstag spätestens 16:00 und am Sonntag gar nicht erst auf. Gleichzeitig gibt es in Dänemark schon lange Dinge, um die wir in Deutschland immer noch absurde Diskussionen führen: gleichlange Elternzeit für beide Elternteile, Job Sharing, Job Rotation und flexible Arbeitszeit- und Teilzeitmodelle. Aber Achtung! das klingt alles so schön, dass man gern in eine gedankliche Falle tappt. Natürlich gelten diese Vorzüge nicht für alle Dän*innen. Sondern nur für die, deren Jobs das zulässt. Diejenigen mit den schlechtbezahlten und wenig wertgeschätzten Jobs fallen in Dänemark genauso durchs Raster, wie anderswo. Deshalb haben Supermärkte beispielsweise immer auf. Und deshalb sitzen dort hinter der Kasse häufig auch keine blonden, blauäuigen, weißen Menschen. Aber dazu später mehr.

Ebenfalls wichtig fürs dänische Glück: Hygge. Hygge ist so was ähnliches wie Gemütlichkeit, spielt sich vor allem Zuhause ab und hat mit bodenständigem Essen, gutem Bier (gerne lokal gebraut) und Wein, kuscheligen Decken, Kerzen, warmem Licht, Zusammensein und Entspannen zu tun. Grob gesagt.

Und für Hygge braucht man Zeit und kann deshalb nicht die ganze Zeit arbeiten. Als Besucher*innen bekommt man Hygge vor allem beim Blick in die dänischen Wohnzimmer mit. Einrichtung ist hier seeeehhhhrrrr wichtig. Und den hat man ganz ungestört, denn in Dänemark gibt es keine Gardinen. Es gehört zum dänischen Lebensgefühl, dass alle in alle Wohnzimmer schauen können und man nichts zu verstecken hat.

Alles so schön und gleich hier

Und zu sehen gibt es einiges. Nicht ohne Grund ist Dänemark auch international für modernes Design besonders von Alltagsgegenständen bekannt. Die Antwort auf die Frage, wofür die Menschen in Dänemark ihr Geld am liebsten ausgeben, beantwortet sich damit auch. Für teure Lampen, Möbel, Kunst … aber vor allem für teure Lampen. Wir haben uns einen Spaß daraus gemacht, bei unseren Spaziergängen bestimmte, berühmte Lampenmodelle zu zählen und uns die Frage zu stellen, wie häufig es sich dabei um Familienerbstücke handelt. Eine große Louis Poulsen Lampe für die Küche schlägt schließlich gern mal mit um die 1.000 Euro zu Buche.

Doch das ist drinnen, was ist mit draußen? Draußen herrscht Backsteinoptik, ob in rot oder gelb.

Diese Bauweise schafft eine interessante Egalität, weil Häuser nicht auf den ersten Blick größer oder teurer aussehen wie andere. Dieses Gefühl der Gleichheit macht Dänemark ebenfalls aus. (Auch wenn natürlich in Dänemark auch nicht alle Menschen als gleich angesehen … wir wiederholen uns)

Bildung verpflichtet

Etwas ist uns aber definitiv sehr positiv aufgefallen und das ist die Tatsache, dass man den Menschen in Dänemark intellektuell einiges zutraut. Schulbildung hat in Dänemark auch im europäischen Vergleich eine wirklich lange Geschichte und so werden die Bürger*innen als mündige Menschen behandelt, die sich ihres Verstandes bedienen können.
Wir gehen ja sehr gern in Museen und haben uns auch in Odense drei Museen angeschaut, die wir auch alle drei empfehlen können. Alle haben uns mit ihrer innovativen Ausrichtung und ihrer didaktischen Herangehensweise auf die eine oder andere Art positiv überrascht.

Ein Mann, der von der öffentlichen Schulbildung in Dänemark profitiert hat und der wie kein anderer in Odense gefeiert wird, ist Hans Christian Andersen.

In ärmlichsten Bedingungen in Odense geboren und später Ehrenbürger der Stadt geworden, prägt sein Schaffen bis heute die Stadt.

Überall finden sich märchenhafte Verweise und das noch recht neue Andersen-Museum ist den Besuch definitiv wert und für Erwachsene wie für Kinder gleichermaßen interessant sowie architektonisch herausragend gestaltet.

Das Sahnehäubchen darauf: der ganz selbstverständliche, unaufgeregte Umgang mit Andersens Homosexualität (im entsprechenden historischen Kontext) und die Einordnung historischer Begrifflichkeiten, die so heutzutage nicht mehr verwendet werden.

Ähnliches fällt uns im Brandts Kunstmuseum für moderne Kunst auf. Museen werden hier immer so gestaltet, dass Erwachsene wie Kinder Spaß dabei haben aber keine Gruppe für die andere zurückstecken muss.

Neben der tollen ständigen Sammlung …

… gab es eine Sonderausstellung zu Claude Cahun ein, einer französischen Künstler*innen-Persönlichkeit, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts als geschlechterfluide, queere Person gelebt und gearbeitet hat.

Also gibt es zu Beginn der Ausstellung eine kurze Einordnung sowie eine kurze Ausführung zu Pronomen und ab da wird vorausgesetzt, dass alle Besucher*innen diesen Kontext verstehen und berücksichtigen können. Unklar, wann mit sowas in deutschen Museen zu rechnen ist.

Schließlich haben wir uns noch das Stadtmuseum Møntergarden angesehen, in dem man viel über die Entwicklung von Odense und Fünen erfahren kann, alles wie gehabt kurzweilig aufbereitet.

Aber wer hier lineare Geschichte erwartet, wird enttäuscht. Die Ausstellung geht der Frage nach, wie sich bestimmte globale Entwicklungen auf Odense – dem Zentrum des Universums aus Sicht von Odense – ausgewirkt haben. Alles ist nach Themenschwerpunkten sortiert, spielerisch umgesetzt und setzt damit eine gewisse geistige Flexibilität voraus, weil Ereignisse eben nicht detailliert in eine Zeitlinie gepackt werden.

Anhand der Google-Bewertungen kann man erkennen, dass nicht alle ausländischen Besucher*innen damit zurecht kommen.

Paradiesische Zustände sehen anders aus

Aber jetzt mal Butter bei die Fische. Bei aller Lobpreisung ist Dänemark kein Paradies, auch nicht für Fans von schönen Dingen und intellektuellem Anspruch. Drei Gründe dafür, die bereits bei einem Aufenthalt von wenigen Tagen deutlich werden:

  1. Es ist teuer, richtig teuer

Im Schnitt ist in Dänemark alles 20-30% teurer als in Deutschland. Das macht vor allem Essengehen zu einem zweifelhaften Vergnügen. Jetzt meint man, solange die dänischen Gehälter das ins Verhältnis setzen, ist das nur ein Problem für Tourist*innen. Aber die Rechnung geht nicht ganz auf. Das Lohnverhältnis Deutschland – Dänemark ist kleiner, als der Preisunterschied. Auch für Dän*innen ist in Dänemark zu leben ein teurer Spaß.

Unser kulinarischer Tipp für Odense lautet deshalb: ab ins Storms Pakhus – der lokalen Markthalle. Für annehmbaren Preis kann man hier verschiedene kulinarische Richtungen ausprobieren.

2. Fremdenfeindlichkeit gehört zum Lebensgefühl

Dänemark ist leider ein sehr fremdenfeindliches Land. Dagegen ist Deutschland geradezu linksliberal. Menschen mit Migrationsbiografie machen in Dänemark etwa 10% der Bevölkerung aus. Wie schon angedeutet, macht man ihnen mit verschiedenen politischen Maßnahmen das Leben besonders schwer. Man findet sie in den weniger gut bezahlten Jobs, man bestimmt ihre Wohnort-Wahl durch Quoten in Stadtvierteln und man schiebt in Risikoländer ab, wo es nur irgendwie geht. Dabei beruft man sich auf die „Sorgen und Ängste“ einer bestimmten Gruppe der dänischen Bevölkerung. Der älteren, weißen, vorrangig männlichen Gruppe … und der vorrangig nicht in den wenigen größeren Städten lebenden Gruppe. Und das bringt uns zu Punkt 3:

3. Stadt vs. Land

Die gesellschaftliche Spaltung in Dänemark ist primär durch eine Stadt-Land-Differenz bestimmt. Kopenhagen, Aarhus und Odense, danach wird es schon dünn. Die sechstgrößte Stadt des Landes kommt schon nicht mehr auf 100.000 Einwohner*innen. Soziale Isolation, mangelnde Infrastruktur und Abneigung gegen alles Kosmopolitische prägt einen nicht unwesentlichen Teil der Bevölkerung. Schöne Natur macht bekanntlich keine Menschenfreunde.

Fazit: angenehmes Licht aus schönen Lampen verdeckt die dunklen Flecken in Dänemark auch nicht. Das Land hat mindestens genauso viele Probleme, wie alle anderen auch.