Nach vielen Jahren hat es uns mal wieder nach London verschlagen. Wir haben noch mal kurz vor dem Brexit vorbeigeschaut und uns vorgenommen, uns vor allem Stadtviertel anzuschauen, die wir noch nicht so gut kennen. Kulinarisch und für die geistige Unterhaltung ein voller Erfolg!
London für die Füße
Von Whitechapel nach Hackney – der Nordosten
London lässt sich hervorragend erlaufen, was angesichts der ÖPNV-Preise eine gute Nachricht ist. Wir haben zwar den Trick herausgefunden, mit dem man so preisgünstig wie möglich mit U-Bahn und Bus durch die Stadt kommt (Kreditkarte mit Touch-Funktion), aber zu Fuß ist es doch gleich viel interessanter.
Ausgehend von unserem Hotel in Whitechapel sind wir zunächst der Brick Lane gefolgt. Hier lag vor circa 10 Jahren das Epizentrum vom hippen Ostlondon, um das viele Touristen vorher einen großen Bogen gemacht haben. Die Gegend rund um die Brick Lane wird auch Bangaltown genannt, was an der großen Zahl von Einwohnern mit bengalischem Background liegt. Heute zeichnet die Brick Lane neben den vielen bengalischen Restaurants und Spätis vor allem die große Zahl an Second Hand Läden aus, in denen man, im Gegensatz zu Berlin, wirklich das eine oder andere Schnäppchen machen kann. Mit etwas Glück gibt es den Burberry Trenchcoat schon für 25 Pfund zu holen.
Am Ende der Brick Lane steht man schon mitten im Viertel Shoreditch, wo es etwas schicker und teurer wird.
Weiter geht es nach Bethnal Green und spätestens hier hat man das Gefühl, in einem echten Stadtviertel zu sein, in der die Anwohner gegenüber den Touristen in der Überzahl sind. Keine Wolkenkratzer weit und breit, dafür die klassische britische Reihenhaus-Architektur, egal ob viktorianisch in weiß oder in Backsteinoptik.
In Bethnal Green verlässt man dann auch schon das Gebiet, in dem die U-Bahn fährt. Weiter geht es nach Norden nach Hackney. Hier findet sich ein Stadtviertel mitten in der Gentrifizierung. Noch gibt es auch die Sozialwohnblöcke aber dazwischen schon kleine Straßen mit hochpreisigen Cafés und Boutiquen.
Mindestens eine Überraschung hat Hackney aber noch zu bieten: Hackney City Farm. Mitten im städtischen Leben liegt dieser Bauernhof mit Gemüsegarten und Tieren sowie einem kleinen Café für die umliegende Nachbarschaft. Hier lernen Kinder etwas über Gemüseanbau und die Erzeugnisse werden verkauft.
Bermondsey und Brixton – der Süden
Unser zweiter ausgedehnter Spaziergang führte uns in den Süden Londons. Bisher sind wir maximal bis zur Tate Modern gekommen. Diesmal sind wir zuerst dem Queen’s Walk entlang der Themse gefolgt und standen dann im Viertel Bermondsey. Hier, im Schatten von Londons vielleicht hässlichstem Wolkenkratzer „The Shard“, ist es angenehm entspannt.
Weiter südlich und nicht mehr zu Fuß, aber mit dem Bus erreichbar, liegt Brixton. Brixton ist das Herz der schwarz-afrikanischen Community in London, die ihre Ursprünge vor allem in den Einwanderungen aus den britischen Kolonien nach dem 2. Weltkrieg hat.
In Brixton liegen deshalb auch die Black Cultural Archives, die in wechselnden Ausstellungen die Geschichte der farbigen britischen Bevölkerung beleuchten. Wir haben uns eine Ausstellung rund um die Windrush Generation angeschaut, die gerade eine besondere politische Brisanz hat. Die Windrush war eines der Schiffe, die in den 50iger Jahren Einwanderer aus der Karibik nach Großbritannien gebracht haben. Der Begriff „Windrush“ steht für eine ganze Generation von Menschen, die aus Jamaica, Trinidad, Tobago und anderen ehemaligen Kolonien aufgrund des Arbeitskräftemangels nach dem 2. Weltkrieg angeworben wurden. In Großbritannien erlebten sie dann nicht nur Rassismus sondern auch eine Gesetzgebung, die den Zugang zur britischen Staatsbürgerschaft massiv erschwerte. Papiere von der Überfahrt sind verloren gegangen und eine unbefristete Duldung wurde zwar 1971 gesetzlich bestätigt aber nicht ausreichend dokumentiert. 2012 kam es dann zum „Windrush-Skandal“ als die Regierung unter Theresa May plötzlich Strenge gegenüber illegalen Einwanderern zeigen wollte und deshalb Menschen zu deportieren begann, die zum Teil seit Jahrzehnten und in der dritten oder vierten Generation in Großbritannien lebten, die aber, aufgrund von Behördenversagen, nie einen klar definierten Aufenthaltsstatus erhalten hatten. Überraschenderweise – denn auch in Großbritannien hetzen rechte und konservative Politiker seit vielen Jahren gegen Einwanderung – gab es aus der Bevölkerung und den Medien eine einhellige Reaktion: Empörung. Damit ist das Problem noch nicht aus der Welt geschafft, aber das Innenministerium bemüht sich darum, der „Windrush-Generation“ und ihren Nachkommen nun doch einen gesetzlich sichern Status zu verschaffen.
London für den Magen
Märkte über Märkte
Food Markets, also „Essensmärkte“, gibt es in London in unüberschaubarer Zahl. Da wir immer für kulinarische Abenteuer zu haben sind, schauen wir natürlich rein. Aber es gibt wesentliche Unterschiede, vor allem, wenn die „Märkte“ nur auf Touristen aus sind. Deshalb kann man zum Beispiel getrost einen Bogen um Containermärkte wie dem Boxpark in Shoreditch oder Pop Brixton machen. Teuer und charmebefreit.
Einen Besuch wert sind da schon eher der Borough Market auf der Südseite der Themse, direkt unterhalb der Tower Bridge …
… oder das Brixton Village.
Beide Märkte vereinen normale Lebensmittelstände und regionale Spezialitäten mit Essensständen, Cafés und Weinbars.
Unser Favorit war aber der Maltby Street Market in Bermondsey, der sich in den Bögen einer Zugtrasse befindet. Hier treffen sich Einheimische und Besucher zum Probieren von leckeren Snacks und guten Tröpfchen. Der Markt ist nicht zu groß und nicht zu klein und man findet hier noch bodenständige Produzenten, wie zum Beispiel die St. John Bakery mit den angeblich besten Doughnuts der Stadt, die in Wahrheit Pfannkuchen sind ;)
Kaffee-Pilgerfahrt
Es gibt sehr, sehr viele Möglichkeiten, in London guten Kaffee zu trinken. Darunter verstecken sich auch einige internationale Highlights, die es noch nicht aufs europäische Festland geschafft haben, wie zum Beispiel Allpress in Shoreditch, ein Ableger der neuseeländischen Third Wave Pioniere …
… Workshop in Marylebone – ebenfalls aus Down Under aber diesmal Australien …
… und direkt am Borough Market das Café Monmouth an dem man längere Wartezeiten in Kauf nehmen muss, um den Kaffee zu probieren, der bereits seit 1973 in London geröstet wird.
Neuentdeckungen
Man muss aber natürlich nicht jede Mahlzeit auf die Hand und im Gehen einnehmen. London wartet auch mit einer schier unendlichen Anzahl an Restaurants auf. Es lohnt sich aber, etwas zu recherchieren und das eine oder andere Juwel zu entdecken – gerade in den Stadtvierteln etwas außerhalb des unmittelbaren Zentrums. Dort wo die Mieten nicht ganz so teuer sind, probieren sich Köche in kleinen Restaurants aus. So zum Beispiel im Restaurant „Salon“ von Chefkoch Nicholas Balfe, der vorher im altehrwürdigen Brunswick House gekocht hat und jetzt in Brixton saisonale, italienisch-inspirierte Küche anbietet. Sein Signature Gericht sind die Nduja Kroketten und was soll ich sagen … sie waren göttlich und wir haben noch eine zweite Portion bestellt.
Superstars & Klassiker
Unsere anderen Anlaufstellen wiederum waren definitiv keine Unbekannten auf der kulinarischen Landkarte. Ganz oben auf unserer Liste stand ein Besuch bei Yotam Ottolenghi, der in London mehrere Restaurants betreibt und von dem wir das eine oder andere Kochbuch im Regal stehen haben.
Wir haben sein neuestes Restaurant Rovi in Fitzrovia besucht. Sehr toll eingerichtet, Blick auf den offenen Pass, das obligatorische Fermentierungsregal und die typische Ottolenghi-Mischung aus mittelöstlichen Geschmacksrichtungen und effektvoller Zubereitung. Hier geht es nicht um feine, filigrane Geschmacksnoten, hier geht es um Geschmacksexplosionen.
Ein Klassiker in London ist das indische Restaurant Gunpowder, das maßgeblich die moderne britisch-indische Küche mitgeprägt hat. Wir haben hier zwar nur einen kleinen Mittagssnack zu uns genommen, aber es war deshalb nicht weniger lecker.
Apropos Snack, ist man auf der Brick Lane unterwegs, führt der Weg nicht an der Beigel Bake vorbei. Scheinbar schon immer am gleichen Ort, hart aber herzlicher Umgangston, hier wird nichts modernisiert oder experimentiert. Dafür gibt es auch gar keinen Grund, denn der Salt Beef Beigel mit Senf und Gürkchen ist perfekt.
London für den Kopf (inklusive der Ohren)
Zeitgenössische Kunst
Nicht nur der Körper braucht Nahrung, auch das Gehirn will angeregt werden. Dafür fehlt es in London natürlich nicht an Möglichkeiten, wobei wir auch in diesem Bereich neue Anlaufstellen ausprobieren und eben gerade nicht in die Tate Modern gehen wollten – auch wenn bisher alle Besuche dort großartig waren. Leider war unser Timing dann aber nicht besonders gut, so dass wir weder in der Whitechapel Galerie noch im White Cube in Bermondsey Glück hatten, die sich beide gerade zwischen zwei Ausstellungen befanden.
Dafür haben wir zwei um so großartigere Ausstellungen in den Serpentine Galleries gesehen. Auf beiden Seiten des Serpentine Teiches im Hyde Park gelegen, sind die beiden Ausstellungsräume Koryphäen, wenn es um zeitgenössische Kunst geht. In der Serpentine Sackler Galerie (hier hat man sich offensichtlich noch nicht vom Sackler-Namen distanziert) haben wir eine Ausstellung der Malerin Luchida Hurtado gesehen. Die 99-jährige Malerin war viele Jahrzehnte unbekannt und unbeachtet und wurde erst 2016 wieder entdeckt. Ihre Arbeit beschäftigt sich mit feministischen Themen, surrealistischen Naturdarstellungen und Ökologie. Von figurativer Malerei bis hin zu abstrakten Bildern mit einer von ihr entwickelten „Geheimsprache“ verfügt sie über eine große Bandbreite an Darstellungsformen.
An der Serpentine Sackler Galerie sind nicht nur die beinhalteten Ausstellungen spannend, sondern auch die Architektur, in der sie stattfinden. Ein Teil ist ein Schießpulvermagazin von 1805, während der zweite Teil 2013 von Zaha Hadid ergänzt wurde.
In der zweiten Galerie – in einem Teehaus aus den 1930iger Jahren – haben wir am letzten Tag der Ausstellung die Kunstwerke von Faith Ringgold gesehen.
Die amerikanische Malerin begleitet bereits seit den 1950iger Jahren die Geschichte der afro-amerikanischen Bevölkerung in den USA. Neben klassischen Gemälden, arbeitet sie dabei mit Quilts als Grundlage für ihre Bilder, da Quilts eine besondere kulturelle Bedeutung haben, die bis in die Sklavenzeit zurückreicht. Ihre Bilder sind ausdrucksstark und eindrucksvoll.
Musikalische Referenzen
Eigentlich waren wir ja aufgrund eines Konzerts in London und auch obwohl die britische Hauptstadt im Moment nicht stilprägend ist, gibt es hier natürlich Musikgeschichte en masse. Da ist für jede Geschmacksrichtung was dabei.
Passend zu unserem Konzert haben wir in Bethnal Green eine kleine Gasse besucht, in der das Musikvideo der Libertines zu „Up the Bracket“ gedreht wurde und die bis heute eine Art Pilgerstätte für Fans ist. Ich war bereits zum dritten Mal hier und finde es erstaunlich und bezaubernd, wie die Widmungen sich doch immer wieder gegen die restlichen Graffitis durchsetzen.
Graffitis gibt es auch um anderen Künstlern zu huldigen, seit 2016 vor allem in Erinnerung an David Bowie. Uns sind zwei besonders schöne Exemplare in Shoreditch und Brixton „begegnet“.