Hong Kong – Zwischen Nostalgie und Melancholie

Hong Kong ist etwas Besonderes. So fühlte es sich zumindest für uns an, als wir hier im September eine Woche verbracht haben. Weil Taifun Ragasa über ganz Südostasien gezogen ist, war es auch eine sehr nasse Woche.

Was macht Hong Kong so besonders? Die kulturelle Mischung? Der Retrocharme? Die spannende Geschichte? Sie alle sind Teil einer Stadt, die eine spürbare Persönlichkeit hat. Eine Persönlichkeit, die unter Druck steht. Die verschwinden soll, wenn es nach der Führung der Volksrepublik China geht. Und so entsteht das Gefühl, dass die Stadt sich um so mehr an ihre Besonderheit klammert, um nicht komplett assimiliert zu werden. Dabei sind die Erfolgsaussichten leider nicht gerade gut.

Größe, Dichte, Lebensgefühl

Hong Kong ist nicht besonders groß. Das kommt Touris wie uns entgegen, die viel sehen wollen. Da wäre zunächst einmal Hong Kong Island, die Insel, die 1841 von der britischen Krone als Kolonie besetzt wurde. Hier liegt unter anderem das Viertel Tai Hang, in dem wir ins Hotel einchecken.

Die Insel ist sehr bergig, weshalb im Wesentlichen nur der Küstenstreifen erschlossen ist, bzw. im Falle der hafenabgewandten Seite auch immer noch erschlossen wird. Hier fahren die Doppelstock-Straßenbahnen, hier steht auch der größte Teil der Hong Konger Skyline, und hier finden sich auch wenigen noch erhaltenen Gebäude aus der Kolonialzeit. Vieles, was das Bild von Hong Kong ausmacht, befindet sich auf dieser vergleichsweise kleinen Insel.

Vom Peak in der Mitte der Insel, auf den man mit einer Seilbahn fahren kann, kann man sich das Panorama wunderbar anschauen.

Ebenfalls zu Hong Kong gehört die Halbinsel Kowloon auf der anderen Seite des Hafens, die 1860 der Kolonie hinzugefügt wurde. Hier ist mehr Platz, auch für Parks.

Einer davon ist besonders interessant. Der Kowloon Walled City Park ist nicht der schönste Park aller Zeiten, aber er steht an einer Stelle, an der sich bis Ende der 1980er Jahre das vielleicht unglaublichste “Stadtviertel” Hong Kongs befand. Die Kowloon Walled City.

Im 19. Jahrhundert ein Dorf, wuchs dieses “Siedlungsgeschwür” über Jahrzehnte unkontrolliert bis zu 14 Stockwerke in die Höhe. Hier fanden nach dem 2. Weltkrieg vor allem chinesische Geflüchtete Unterschlupf. Die Siedlung verwaltete sich größtenteils selbst mit fragwürdigem rechtlichen Status. 1987 sollen 33.000 Menschen hier gelebt haben. Lustigerweise sind wir im Park in eine Sonderausstellung zum sehr erfolgreichen Hong Kong-Kinofilm “Twilight of the Warriors” von 2024 hineingeraten, der in der Walled City spielt, die bis 1994 abgerissen wurde.

Ebenfalls zu Hong Kong gehören die sogenannten “New Territories”, die 1989 per Pachtvertrag Teil der Kolonie geworden sind und mit allen anderen Gebieten 1997 an die Volksrepublik China zurückgegeben wurden. Mit diesem Teil der Stadt hat man als Touri wahrscheinlich weniger Berührungspunkte, außer auf dem Weg von und zum Flughafen.

Viel Platz ist nicht, so viel erkennt man sehr schnell. Wenig überraschend, ist Hong Kong einer der teuersten Immobilienmärkte der Welt mit einer sehr hohen Dichte an Einwohner*innen. Wie die Menschen in Hong Kong wohnen, verrät ein Blick auf die vielen Hochhäuser – eng, auf kleinem Raum und nicht gerade schön.

Auf Hong Kong Island haben einiger der älteren Wohnblöcke Sehenswürdigkeitenstatus, wie das Monster Building in Causeway Bay.

Hinter den Fotomotiven stehen aber natürlich die üblichen Gründe dafür, warum die Wohnsituation so ist, wie sie ist. Intransparente Landvergabe von geografisch bedingt sowieso sehr wenig Bauland ist das idealer Rezept für Korruption. Und die wenigen übrig gebliebenen Gebäude aus der Kolonialzeit lassen sich so auch erklären: Wer neu bauen will, muss in Hong Kong in der Regel erstmal abreißen, das macht auch vor historischer Substanz nicht Halt.

Chinesisch – ob sie wollen oder nicht

Hong Kong war schon immer “chinesisch” im kulturellen Sinne, nicht zuletzt, weil spätestens seit der Gründung der Kolonie der Bevölkerungszuwachs maßgeblich über geflüchtete Menschen vom chinesischen Festland erfolgte, die den diversen politischen Entwicklungen dort entgehen wollten.

Gerade aus dieser Geschichte und den wirtschaftlichen Möglichkeiten als britische Kolonie hat sich das Gefühl des “Sonderstatus” von Hong Kong über Jahrzehnte gespeist und die Gesellschaft grundlegend geprägt. Und genau dieser “Sonderstatus” ist der Volksrepublik China ein Dorn im Auge, gegen den sie seit der “Rückgabe” 1997 unterschiedliche Maßnahmen unternommen hat, obwohl es eine Eigenständigkeitsgarantie bis 2047 gibt, die aber weitestgehend auf dem Papier existiert.

Hong Kong ist inzwischen Teil der Sonderwirtschaftszone “Perlflussdelta”, gemeinsam mit chinesischen Großstädten an der Südküste des Festlandes. Damit ist es auch aus wirtschaftlicher Sicht nicht mehr besonders, nicht mehr getrennt vom Rest der Volksrepublik, sondern eingebunden in ein engmaschiges wirtschaftspolitisches Netz.

Seit 1997 sind außerdem mehr als 1 Mio. “Festländer*innen” nach Hong Kong gezogen, was nicht nur den Kampf um Ressourcen wie Wohnraum massiv verstärkt hat, sondern auch in großen Teilen der Bevölkerung große Unzufriedenheit und Konflikte aufgrund reeller und vermeintlicher kultureller Unterschiede ausgelöst hat. Böse Zungen könnten von einer erfolgreichen Siedlungspolitik sprechen, die die gesellschaftliche Zusammensetzung verändern soll.

Und leider muss man sagen, dass von der garantierten Eigenständigkeit nach der Zerschlagung der Demokratiebewegung 2019 durch den chinesischen Sicherheitsapparat kaum noch etwas übrig ist. Eine neue Gesetzgebung ermöglicht es, bei Anklagen zu “Separatismus”, “Subversion”, “Terrorismus” und “Absprachen mit ausländischen Mächten” zum Teil lebenslange Haftstrafen zu verhängen. Gleichzeitig hat der Staat inzwischen die Kontrolle über Medien und Schulen erlangt und damit die Meinungs- und Pressefreiheit faktisch beendet.

Was heißt das jetzt für Urlauber*innen wie uns? Merken wir davon irgendwas? Nicht wirklich und das ist eigentlich perfide. Denn im Grunde ist nichts, was wir in Hong Kong sehen und erleben unverfänglich. Alles muss durch den Filter der chinesischen Kulturpolitik betrachtet werden.

Der Retrocharme, der uns gefallen hat? Retro und Nostalgie sind Ausdruck einer Zeit, als Hongkong noch es selbst sein konnte und weil diese Realität zunehmend verschwindet, entsteht ein um so größeres Bedürfnis nach einer Vergangenheit, die sich zunehmend auflöst.

Die Ausstellung im M+, einem modernen, tollen Kunstmuseum in Kowloon, über die Entwicklung der Malerei in Hong Kong und Kanton (der gegenüberliegenden Region aus Festlandseite)? Sie soll uns vor allem zeigen wie gleich die kulturellen Grundlagen und Ausdrücke sind, wie nah beieinander die Menschen also im Geiste, so dass eine “künstliche” Trennung von Identitäten ja gar keinen Sinn macht. Und das Xi Jinping aus aus Guandong in Kanton stammt, ist bestimmt reiner Zufall.

Welchen Unterschied diese kulturelle Positionierung macht, wird uns besonders deutlich, als wir beim nächsten Stop unserer Reise in Taichung, Taiwan eine Museumsausstellung besuchen, in der die Betonung ausdrücklich auf der lokalen Identität Taiwans trotz äußerer Einflüsse liegt, um die Einzigartigkeit gegenüber China explizit herauszustellen. Für Hong Kong ist es dafür offensichtlich zu spät.