Ende März brauchen die Akkus schon mal eine kleine Aufladung. Ein bisschen Wellness, nicht so weit weg, ein bisschen Entspannung. Warum nicht, in einer Kulisse, die das Gefühl vermittelt, man würde in einem Wes Anderson-Film Urlaub machen. Willkommen in Karlovy Vary.
The Good – Das Gute
Panorama
Die Optik macht ganz klar was her. Karlovy Vary ist schön anzusehen. Je nachdem, ob man die Stadt von den umschließenden Hängen betrachtet oder aus dem Tal die Fassaden bestaunt, es gibt viele bezaubernde Motive und Perspektiven.
Seilbahnen
Als Fans außergewöhnlicher Fahrzeuge und Fortbewegungsmittel haben wir mit großer Freude die Furniculare oder Standseilbahnen genutzt, die es in Karlovy Vary gibt. Vor allem jene kleine, etwas altmodisch wirkende, die uns hoch zum Hotel Imperial (und unserem geparkten Auto) gefahren hat.
Eine weitere Seilbahn führt zum Dianaturm (dessen unmittelbare Umgebung mit Mini-Zoo, Schmetterlingshaus und Ausflugslokal eher nicht so unseres ist), von dem man aus weitläufig über die Hänge spazieren kann und neben aller Wellnessbehandlungen und der doch recht zünftigen Küche ein wenig Bewegung bekommt.
Kaffee
Zugegebenermaßen überrascht waren wir vom guten Kaffee-Angebot in Karlovy Vary. Wir hätten eher mit Kännchen-Kaffee gerechnet, doch im städtischen Bereich Richtung Bahnhof und Busbahnhof und in der dortigen Einkaufsstraße haben wir gleich drei gute Cafés gefunden.
Platz 1 – Maelk Kavarna
Direkt im Bahnhofsgebäude würde man nicht erwarten, den besten Kaffee der Stadt zu bekommen, aber siehe da. Ein hervorragend gebrühter Latte und ein erfrischender Espresso Tonic erwarteten uns in diesem sehr netten Café.
Platz 2 – Pinkiez Espresso Bar
Optisch könnte das Café auch in Kreuzberg sein. Die Röstungen angenehm hell, die Zubereitung routiniert, nichts dran auszusetzen.
Platz 3 – Republica Coffee
Ein entspanntes Café für ein junges Publikum. Der Kaffee ein wenig dunkel für unseren Geschmack aber dafür eine kleine, feine Frühstücksauswahl.
Kulinarik
Grundsätzlich waren wir mit dem Essensangebot in Karlovy Vary sehr zufrieden. Natürlich sehr fleischlastig, und zünftig, aber das kann ja auch mal, wie zum Beispiel in Goethes Bierhaus.
Ein Besuch im Grandhotel Pupp (wenn schon nicht zur Übernachtung) lohnt sich auf jeden Fall.
Drinks, Vorspeise und Hauptgang top, nur das Dessert war so lala.
Ebenso können wir das Café Pupp uneingeschränkt empfehlen.
Die Oysterium Austern- und Weinbar ist auf jeden Fall was, wenn man Austern und Wein mag. Was anderes gibt es hier allerdings wirklich nicht.
Und wenn es dann doch mal was ganz anderes sein soll, oder mehr Gemüse, gibt es mindestens auch ein gutes vietnamesisches Restaurant: Nhât Båo.
Und für einen Snack oder zum Frühstück: die Bagel Lounge, auch mit glutenfreien Bageln.
Umgebung
Mit einem Auto muss man nicht ausschließlich in Karlovy Vary bleiben und wenn man die James-Bond-Experience noch ausdehnen möchte, (im Grandhotel Pupp wurde Casino Royal mit Daniel Craig gedreht) kommt man ins nicht weit entfernte Loket.
Hier gibt es eine Burg inmitten einer kleinen Altstadt auf einer Insel in einer Flussbiegung gelegen und ein nettes Outlet-Geschäft für Keramik und Porzellan.
The Bad – Das Schlechte (oder zumindest Verbesserungswürdige)
Service
So richtig stimmt der Service fast nirgends, auch nicht im Grandhotel und das ist durchaus enttäuschend. Man ist bemüht, aber häufig ein wenig ruppig oder nicht so aufmerksam, wie es nötig wäre. Im Ernstfall hatten wir auch Momente, wo wir den Eindruck hatten, man hätte gar keinen Bock auf Gäste. Für eine Stadt, die vom Tourismus lebt, etwas seltsam.
Als positive Ausnahme sind unser Lieblingscafé Maelk mit seiner sehr netten Barista und das Team des Café Pupp zu vermerken, das trotz des größten Trubels die Contenance bewahrt.
Deutsche Tourist*innen
Sie sind überall und sie sind ein Problem. Sie sprechen grundsätzlich alles und jeden auf Deutsch an, zahlen grundsätzlich nur mit Euro (auch „deutsches“ Geld genannt), aber auch nur mit Bargeld, sind laut, anmaßend und uns würde nicht wundern, wenn es Besucher*innen gibt, die der Vorstellung anhängen, dass Böhmen zu Deutschland gehört.
Für das ältere Personal in Hotels und Restaurants mag es noch stimmen, dass dieses ein stabiles Deutsch spricht und versteht. Aber für die jüngeren Generationen haben längst Englisch und Russisch die größere Bedeutung. Das aber dahingestellt, ist die überhebliche Selbstverständlichkeit, mit der deutsche Tourist*innen hier einfallen, das Problem und nicht ihre ggf. eingeschränkten Sprachfähigkeiten. Maximal unangenehm.
The Ugly – Das Hässliche
… im wortwörtlichen und übertragenen Sinne. Auch das kleine Karlovy Vary, wahrlich nicht der Nabel der Welt (außer vielleicht für Goethe), ist ein Spiegel für die großen, nicht ganz so angenehmen Themen unserer Zeit:
Der Ukraine-Krieg
Man kommt nicht umhin, in Karlovy Vary festzustellen, dass man hier auf russische Tourist*innen ausgerichtet ist bzw. war, denn diese kamen vor dem Angriff auf die Ukraine und die damit verbundenen Reisebeschränkungen sehr gern und viel hierher. Nun bleiben sie größtenteils aus, was nach dem Ende der Pandemie für die Wirtschaft sicherlich keine Erholung gebracht hat.
Wer stattdessen hier ist, das sind ukrainische Menschen in den diversen Dienstleistungsberufen, die es in Karlovy Vary so braucht. Als Bedienung, in der Hotelerie, als Physiotherapeut*innen im Wellness-Bereich.
Und so schlägt sich das Weltgeschehen auch ganz praktisch hier nieder und wie das mal zukünftig laufen soll, möchte man sich nicht vorstellen.
Die Umweltzerstörung als Konsequenz des Klimawandels
Bei unserem Spaziergang über die Hänge um Karlovy Vary waren wir doch etwas schockiert. Das der europäische Wald stark geschädigt ist, war uns natürlich klar. Aber das Ausmaß der Schäden hier ist erschreckend. Stellenweise steht kein Baum mehr. Aufgrund des Gefälles der Hänge ist das „Aufräumen“ auch eine offensichtliche Herausforderung und so läuft man durch einen traurigen Mikkado-Wald der zusehends weiter ins Tal abrutscht und in dem auch wenig neue Vegetation Halt findet.
Das Fragwürdige
Über eine Sache haben wir noch gar nicht gesprochen: die „Heilquellen“. Wir nicht, aber sonst jede Menge Menschen laufen mit kitschigen Schnabeltassen durch Karlovy Vary, trinken fragwürdiges Wasser, das Durchfall verursacht und nicht schmeckt.
Um es mit unserer Lieblings-/Hass-Phrase zu sagen: hier trifft Tradition (machen wir halt schon immer so) auf Moderne (hmm, schön homöopathisch und keine „Chemie“) und impliziert, dass man sich was Gutes tut, bevor man sich die Innereien mit Zucker (Hallo Oblade)
und Pökelsalz (Hallo Kassler, Wurst und Haxe) mariniert. Wir haben Fragen …