2003 habe ich angefangen, zu studieren und seit der ersten Geschichts-Vorlesung zum libanesischen Bürgerkrieg standen das Land und vor allem Beirut auf meiner Liste von Reisezielen. „Nur“ 14 Jahre später war es nun soweit.
Die neuere Geschichte des Libanon ist mir noch geläufig, aber wie fühlt sich das Land an? Was sieht man, was sieht man nicht, wie sind die Leute drauf, wie viel Bekanntes begegnet einem und was überrascht? Zusammengefasst könnte man vielleicht sagen: es ist kompliziert. Nach 11 Tagen Urlaub hat man natürlich nur an der Oberfläche gekratzt und sicherlich sind Gesellschaft, Kultur und Mentalität in anderen Ländern auch nicht leichter zu fassen, aber irgendwie hat sich Beirut und der Libanon ein wenig wie ein Puzzle angefühlt, dessen Teile nicht richtig zusammenpassen.
Beirut – der Wald aus Beton
Beirut ist nicht schön. Es gibt ein paar Viertel im Zentrum, die in ganz gutem Zustand sind. In anderen spürt man trotz bröckelnder Fassaden den Charme der Stadt, aber an anderen Stellen ist Beirut geradezu brutal fürs Auge, fürs Ohr und fürs Gemüt.
Der Zustand ist nicht nur mit dem Bürgerkrieg oder der Bombardierung von 2006 zu erklären, die zwar wesentliche Schäden angerichtet haben, aber seit dem ist der Umgang mit Häusern und Menschen nicht gerade liebevoll, siehe auch die „Müllkrise“ von 2015. Schmucklose Wohnblöcke, zahlreiche Stadtautobahnen, Häuser, die dringend saniert werden müssten, der gänzliche Mangel an Grünem – das war die ersten Tage unser Eindruck. In den folgenden Tagen hat sich unser Blick geschärft und wir haben immer wieder Perlen entdeckt – aber man muss schon genau hinschauen. Und man muss dazu sagen, dass wir gar nicht in den eher ärmeren Stadtvierteln unterwegs waren, mit Ausnahme vielleicht von Bourj Hammoud.
Während ganze Straßenzüge vor sich hin bröckeln, werden fleißig luxuriöse Apartmentkomplexe gebaut. Ohne besonders tief in die Materie eingestiegen zu sein, funktionieren viele Wirtschaftszweige inklusive dem Bauwesen im Libanon nach einem laissez-faire Prinzip, sprich relativ wenig reguliert. Das hat Tradition (auch schon vor dem Bürgerkrieg gab es schätzungsweise rund 50.000 leere Luxuswohnungen in Beirut, die ausländischen Investoren gehörten) und da Wirtschaft und Politik von Oligarchen bestimmt werden, die mit ihren Familiennetzwerken alles durchdringen, steht häufig nicht das Allgemeinwohl im Zentrum der Überlegung.
Ebenfalls so gut wie fast nicht vorhanden: öffentlicher Nahverkehr. Es gibt Sammelbusse, aber Route und Zeitplan sind eher mysteriös. Darüber hinaus hat man die Wahl zwischen Taxi (natürlich ohne Taxameter) oder eigenem Auto. Und man fährt eigentlich immer Auto. Der Liter Benzin ist nicht so teuer, so dass, wer kann, auch gern in das größte verfügbare SUV Modell investiert, das der Markt zu bieten hat. Vor dem Krieg gab es zumindest ein Schienennetz, dass aber nie wieder in Stand gesetzt wurde und auf Bildern aus den 20iger Jahren sieht man eine Straßenbahn, die ebenfalls verschwunden ist. Die Stadt ist damit auch nicht für Fußgänger ausgelegt. Fußwege sind erweiterte Straßen oder existieren gar nicht erst. Wir sind trotzdem gelaufen und hatten häufig das Gefühl, man hält uns für ein bisschen bekloppt. Als Fußgänger wird man auch permanent von Taxifahrern angehupt, die einen „retten“ wollen.
Grundsätzlich kommt man in Beirut aber gut von A nach B. Es gibt Stadtviertel, bei denen man sich zweimal überlegen sollte, ob man da wirklich hin muss, aber die Wahrscheinlichkeit, einfach in eine schwierige Gegend „reinzustolpern“, ist eher gering. Darüber hinaus sind sowohl die (ehemaligen) palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Schatila (beide haben tragische Bekanntheit im Bürgerkrieg erlangt) und Bourj al-Barajneh oder der schiitische Vor-Ort Dahieh Wohnviertel, die keinen großen touristischen Wert haben, es sei denn, man macht gern Katastrophentourismus.
Tja, was ist überhaupt geblieben vom Bürgerkrieg? Am offensichtlichsten sind die zerschossenen Ruinen, die man immer wieder im Stadtbild sieht. In einigen Fällen hat bisher scheinbar einfach noch kein Abriss stattgefunden, in anderen Fällen sind sie eine Art Denkmal.
Am bekanntesten ist sicherlich das Holiday Inn von Beirut. Hier spielte sich zwischen 1975 und 1977 der „Kampf der Hotels“ ab, als verschiedene Milizen ihre Scharfschützen in den Hochhäusern platziert haben. Dem Holiday Inn gegenüber steht das Hotel Phoenicia, welches inzwischen saniert, wieder Touristen begrüßt. Eine Straße weiter, direkt an der Corniche steht das Hotel St. George, um dessen Zukunft sich gerade ein Grundsatzstreit entspinnt. Damit sind diese drei Gebäude ein gutes Beispiel für die Auseinandersetzung mit dem Erbe des Bürgerkrieges.
Baffa House, Mar Mikhael
Unterkunft und Ausgangspunkt für unsere Erkundungen war das Baffa House im Viertel Mar Mikhael im Nordosten der Stadt. Eine absolute Empfehlung. Es gibt 3 Gästezimmer in der ersten Etage. Samer, der Gastgeber, wohnt mit seiner Familie im 2. Stock und im Erdgeschoss befindet sich ein Restaurant. Sowohl die Zimmer (wir hatten das „blaue“ Zimmer) als auch der Gemeinschaftsbereich mit den beiden Balkonen sind liebevoll und gemütlich eingerichtet. Das Frühstück ist lecker und reichhaltig – mal mit Ei, mal mit Manoushe, aber immer mit Mutters Marmelade und Kuchen – und Samer steht für alle Fragen zur Verfügung.
Mar Mikhael ist ein christliches Viertel. Hier wird man also nicht frühmorgens vom Muezzin wach gesungen. Die Rue Armenia ist die Hauptstraße, an der sich auch jede Menge Restaurants und Bars befinden, in denen es abends trubelig zugeht. Aber darüber hinaus ist das Viertel ruhig und entspannt und wir haben uns sehr schnell heimisch gefühlt.
Da das Viertel am Hang liegt, gibt es viele Treppen, die die einzelnen Straßenzüge miteinander verbinden und von diesen Treppen sind einige bunt bemalt und damit ein beliebtes Touristenmotiv :)
Am 29. und 30. August war die nächtliche Ruhe kurz unterbrochen, denn auf der größten Treppe fand das Kulturfestival „Nous, la lune et les voisins“ statt. Der Name der Hauptstraße hatte uns noch nicht mit der Nase drauf gestoßen, aber spätestens hier wurde deutlich, dass das Viertel auch stark durch seine armenische Bevölkerung geprägt ist. Armenische Kultur stand im Zentrum des Theater-, Tanz- und Musikprogramms. Die große Treppe hat sich also in eine Konzertlocation, Garküche und Freiluftbar verwandelt und wir haben uns, mit einem Arak in der Hand, ins Getümmel gestürzt und ganz tolle Darbietungen gesehen, wie z. B. ein Quartet vom Beiruter Konservatorium in einem kleinen Hinterhof eines Wohnhauses oder eine Tanzgruppe von Kindern und Jugendlichen im Hof einer High School. Glück und ein gutes Timing muss man eben auch haben.
Was ist besonders schön?
Auch wenn ich gerade noch anderes behauptet habe, es lohnt auf jeden Fall, einfach loszulaufen. Von Mar Mikhael aus, über Gemmayze nach Ashrafieh zum Beispiel. Oder auch nach Badaro, südlich des Nationalmuseums. Auch in Beirut gibt es natürlich einiges an der Street Art Front zu entdecken, wie zum Beispiel die Bilder von Yazan Halwani, unter anderem von den libanesischen Sängerinnen Fairuz und Sabah.
Nicolas Sursock Museum: In einem alten Stadtpalast, der schon für sich allein eine Augenweide ist, befindet sich ein Privatmuseum für moderne Kunst.
Wir haben uns zwei Videoinstallationen von Hrair Sarkissian angeschaut, die sich mit dem syrischen Krieg und den daraus resultierenden Flüchtlingsströmen befassen. Darüber hinaus gibt es eine Sammlung von Postkarten und Reiseführern aus und über das Beirut der 20iger und 30iger Jahre. Am interessantesten fanden wir allerdings die seltsamen bunten Malereien des naiven Malers Willy Aractingi.
Was muss man unbedingt sehen?
Nationalmuseum: auch hier ist das Haus mindestens genauso interessant wie den Inhalt. Schon kurz nach Ausbruch des Bürgerkriegs hat der damalige Kurator die wichtigsten großen Artefakte in Stahlbeton einfassen lassen. Auf diese Weise haben sie die 15 folgenden Jahre unbeschadet überstanden. Viele der kleineren Stücke, eingelagert im Keller, sind massiv in Mitleidenschaft gezogen worden und es hat noch 9 Jahre gedauert, bis das Museum nach Ende des Bürgerkriegs wieder eröffnen konnte. Sowohl das Einschussloch in einem antiken Mosaik als auch eine Vitrine mit in einander verschmolzenen Glas- und Metallstücke – ehemals antike Stücke – erinnern noch an die Geschichte.
Sonst gibt das Museum einen historischen Abriss des Libanons von der Steinzeit bis zum Osmanischen Reich, mit besonderem Fokus auf Begräbnispraktiken und -rituale. Und wenn mal der Strom ausfällt, schaut man sich die Ausstellung eben im Schein des iPhones weiter an.
Beirut Art Center: ein Ausstellungsraum, in einer etwas schwer erreichbaren Ecke von Beirut (zumindest zu Fuß), der moderne Kunst mit Schwerpunkt auf Fotografie zeigt, aktuell eine große Retrospektive von Allan Sekula und eine Videoinstallation von Marwa Arsanios.
Die Gotteshäuser von Downtown: Wir haben uns die große Mohammed al-Amin Moschee mit ihrem 6 Tonnen schweren Kronleuchtern, die gänzlich ungeschmückte aber trotzdem schöne Amir Assaf Moschee und die orthodoxe St. Georg Kirche angesehen. Alle nur einen Steinwurf von einander entfernt im Herzen von Beirut.
Was muss nicht sein?
Der Rest von Downtown und das „Saifi Dorf“: Während der Rest von Beirut in mehr oder minder desolatem Zustand ist, gibt es rund um den Place d’Etoile und in den Straßenzeugen des neu entstanden „Saifi Dorfs“ kein Krümmelchen Schmutz, aber scheinbar auch keine Menschen. Eine seltsam künstliche Atmosphäre, die noch verstärkt wurde, da wir an einem Feiertag unterwegs waren, als die Stadt leergefegt war.
Der Souk von Beirut: Auch so ein Fall von fragwürdiger Sanierung. Der „Fall Solidere“ ist ein spannendes Thema, eng verknüpft mit ehemaligen Premierminister Rafic Hariri. Der Souk von Beirut ist nun leider eine moderne Mall mit H&M und Co., ohne jeden Charme. Einzig am Sonntag findet hier der Souk el Tayeb statt, eine Art „Bauernmarkt“, der ganz nett ist.
Die Corniche: eine eher langweilige Strandpromenade. Ja, die Pigeon Rocks sind ganz nett, aber sonst …
man sollte in Beirut, das wohlgemerkt direkt am Mittelmeer liegt, nicht baden, ob der schlechten Wasserqualität. Also finden sich entlang der Corniche diverse Beach Clubs, in denen man den Pool benutzen kann, um von da aus aufs Meer zu schauen.
Was ist mit Ausflügen?
Es lohnt auf jeden Fall, mehr als nur Beirut anzuschauen. Wir haben folgende Ausflugsziele besucht:
Byblos: Der Klassiker am Mittelmeer mit einer kleinen Altstadt zum Schlendern, einem netten kleinen Hafen und einem Freiluftmuseum, in dem man die Besiedlungsgeschichte der letzten 7.000 Jahre nachvollziehen kann.
Deir al-Qamar: im Chouf Gebirge gelegen, sieht man dieser kleinen, verschlafenen Stadt ihre bewegte Geschichte nicht an. Leider macht man daraus touristisch auch nicht viel, so dass ein kurzer Zwischenstop reicht, um über den Marktplatz mit der alten Moschee (die erste im Chouf Gebirge 1493 errichtete) und der Karawanserei zu spazieren. Hier gab es gerade eine Fotoausstellung zur Geschichte der Region, was zumindest ein bisschen Kontext geliefert hat, wenn man nicht gerade das Geschichtsbuch zur Hand hat.
Beiteddine: hier lohnt der Stop schon deutlich mehr, um den Palast von Bashir Shihab II zu besuchen.
Nicht ganz so alt, wie der Palast, aber geschichtlich trotzdem interessant: eine Fotoausstellung über Kamal Jumblatt, einen der bekanntesten Politiker im Libanon, der schon sehr früh im Bürgerkrieg ermordert wurde.
Tyre: im Süden, schon fast an der Grenze nach Israel liegt Tyre mit seinem wirklich schönen Strand, der eine gute Alternative zum nächsten Beach Club ist und seiner antiken Altstadt mit Kreuzfahrerfestung.
Die Jeita Grotte: super touristisch bis hin zur Absurdität (ich sag nur, österreichische Seilbahn), aber wer Stalaktiten und Stalagmiten gut findet, sollte auf jeden Fall mal reinschauen.
Egal ob nach Süden, Norden oder Osten – Ausflüge bedeuten Autofahren … und das ist ein Thema für sich. Am ersten Tag waren wir noch ziemlich ungläubig, ob der Dinge, die sich im Libanon auf der Straße so abspielen. Autobahnabfahrt: kann man rückwärts wieder rauf fahren, vor allem, wenn einem jemand in der falschen Richtung entgegenkommt. Drei Spuren: passen auch 6 Autos neben einander. Nicht genügend Parkplätze: man kann auch auf der Autobahn parken. Im Stadtverkehr: die Autos berühren sich noch nicht? Dann gibt es auch noch kein Problem. Außerdem: hupen, immerzu hupen. Ab dem 2. Tag sind wir gefahren wie Libanesen und alles war gut :)
Mit dem Auto unterwegs sieht man dann auch noch ein paar andere, „libanesische“ Besonderheiten. Zum einen die Checkpoints, durch die man immer wieder fährt und zum anderen diverse Gesichter und Fahnen, die die Straßen „schmücken“. Damit werden die „Territorien“ markiert, die Märtyrer geehrt und die Politiker präsentiert.
In unserem Fall ist uns gleich das viele Grün aufgefallen. Spannend wurde es dann, als wir plötzlich auf der Autobahn von einem Auto und einem Bus nach dem anderen mit grüner Beflaggung umgeben waren.
Eine kurze Recherche später ergab: hier begeht die Amal Bewegung ihren jährlichen Gedenktag für Imam Musa as-Sadr. Wer auf mysteriöse Politthriller steht, muss nur mal den Namen googeln.
Wo kann man gut schlemmen?
In Mar Mikhael gibt es viele Möglichkeiten, gut zu essen. Zum Beispiel hier:
El Denye Hek – libanesisches Restaurant: wir hatten gebratene Sucuk, eine Kibbeh (Hackfleisch-Bulgur-Pinienkernkuchen), natürlich Hummus und Moutabel, Linsensalat, Aubergine und Lammhackbällchen in Tomatensoße
Enab – ebenfalls ein libanesisches Restaurant: diesmal gab es spicy Hummus, Käseröllchen, Aubergine in Joghurtsoße und grüne Bohnen
Seza – unser Highlight: ein armenisches Restaurant mit viel zu großen und viel zu leckeren Portionen, z. B. von Rote Beete oder Gurke-Joghurt Salaten, Rindfleisch auf grünem Bulgur oder Manti (gefüllte Teigtaschen in Tomatensoße und Joghurt). Zum Nachtisch gibt es Baklava, Milchreis und Reis-Schoko-Pudding.
Wem es mit Hummus zu viel wird, der kann auch internationaler zugreifen, zum Beispiel Poke Bowls oder Burger.
Wo gibt es guten Kaffee?
Kalei Coffee: oh Kalei … als hätte Beirut gewusst, wie sich unsere Beziehung zu Kaffee gestaltet, hat es uns diese Perle der Kaffeekultur in 3 Minuten Laufweite unserer Unterkunft gesetzt. Traumhafter Innenhof, leckere Snacks, guter Kaffee, tolle Playlist, abends Craft Beer und Arak und die eventuell einzige Rösterei für Specialty Coffee im Libanon, so dass wir uns auch noch Kaffee mitnehmen konnten. Nicht zu vergessen, hier findet sich der Shop von The Carton, einem Magazin für nahöstliche Kochkultur, dass ebenfalls eine echte Empfehlung ist.
Urbanista: eine Kette an Coffeeshops, die sich vor allem an ein studentisches Publikum richtet. Große Speisekarte, guter Kaffee.
Younes: der Klassiker unter den Beiruter Cafés. Younes gibt es bereits seit 1936 und hier wird natürlich der „libanesische“ Kaffee zelebriert, der sich nicht wesentlich vom türkischen oder arabischen etc. unterscheidet, aber gut schmeckt (zumindest mir und Peter nur, wenn sie auf so „schlimme“ Dinge wir Kardamom oder Zimt verzichten).
Backburner: noch recht neu, setzt man hier komplett auf britische Produkte, vom Kaffee angefangen bis hin zum Joghurt von den Kanalinseln. Für uns an einem heißen Sonntag eine plötzlich entdeckte Oase von Cold Brew und Granola. Und dann haben sie erst Erykah Badu und dann Future Islands gespielt und die Liebe war groß :D
Papercup: okayischer Kaffee, hier sind die Bücher und Zeitschriften das Highlight
Oslo Icecream: kein Café aber nicht minder empfehlenswert für einen nachmittäglichen Zwischenstopp für sehr leckeres Eis, z. B. in den Geschmacksrichtungen Pistazie, Granatapfel und Rosenwasser/Lokum.